Ausstellungen

 

 

Ansprache Dr. Michael Becker / Schulleitung wfk

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich willkommen zur Eröffnung unseres neuen Projektes Who's next? !

Ich danke zunächst einmal im Namen aller am Projekt Beteiligten unserer Ideengeberin und Kuratorin Dinda Lestari für die herzlichen einleitenden Worte und vor allem für ihre Begeisterung, dieses Projekt als menschliches Projekt unter Kollegen zu begreifen und es mit entsprechendem Herzblut zu begleiten und zu realisieren. Es ist eine bestechende Idee, jeden, der ausstellen möchte, ohne Vorbedingungen und Auflagen, soweit der Platz es zulässt, willkommen zu heißen und die Auswahl von Werken den Künstlern selbst zu überlassen. Kein vorgegebenes Motto, keine vorgeschaltete Jury, keine formellen Auflagen wie Ausstellungsvita mit etwaigen Hochschul- oder Studienabschlüssen, keine Mitgliedschaft in irgendwelchen Kunst- oder Künstlerbünden oder -vereinen oder Berufsverbänden oder ungeheure Verkaufszahlen sollten für die Teilnahme an diesem Projekt ausschlaggebend sein. Und was erleben wir? Wir haben eine Vielfalt an interessanten, individuellen künstlerischen Standpunkten, wir haben ein durchgängig technisch hohes bis überdurchschnittliches Niveau, wir haben ganz unterschiedliche Altersklassen, und wäre bei den jüngeren Teilnehmern nicht extra das Alter angegeben, so würden sie ohne Weiteres unentdeckt bleiben können.

Die Präsentation und offene Diskussion vielfältiger Standpunkte ist gerade in der heutigen Zeit von großer Wichtigkeit, findet sie im öffentlichen Raum doch, wenn überhaupt, nur noch in diskreditierten Nischen statt, ohne ihre nötige Anbindung an die Öffentlichkeit zu bekommen. Der Mechanismus der Propaganda, der verhindert, dass Menschen sich in einem kultivierten demokratischen Diskurs Pro und Contra geben, führt zu menschlichem Leid und letztlich zu Kriegen, wie wir es während der angeblichen Pandemie und dem seit fast einem Jahr laufenden Krieg in der Ukraine miterlebt haben und miterleben. Wenn die andere Seite stigmatisiert, dämonisiert, lächerlich, mundtot gemacht und zensiert wird, dann meist nicht, weil Souveränität daraus spricht, sondern im Gegenteil pure Ideologie, Verblendung und Sicherung von Vorherrschaft über den Geist von uns allen zu unser aller Schaden.

Insofern war und ist das Künstlertum immer schon die geistesaristokratische Vorhut gegenüber den manipulativen Verführungen des Zeitgeistes, der bestimmt und vorgibt, wie man zu denken, zu fühlen, zu leben hat. Und waren es nicht immer auch die Künstler und Philosophen, die unkonventionelle, vom Gros der Masse meist unverstandene Gegenentwürfe zum aktuellen Mainstream hervorgebracht haben, die sich letztlich als wegweisend erwiesen? Zumindest hat die Kunst auch heute noch das Potential, dem überzüchteten Verstandesmenschen von heute den Weg in die geistigen Gefilde der Empfindung zu zeigen, wenn dieser nur bereit ist, sich ihm zu öffnen.

So ist es uns ein großes Anliegen, die unterschiedlichsten Pfade sinnlich-geistiger Lebensentwürfe und geheimnisvoll verschlüsselter Sichtweisen auf die innere und äußere Welt nebeneinander zu stellen. Allein der objektive Widerspruch vermag die Einseitigkeiten des Denkens und Fühlens des Einzelnen aufzubrechen und zu einer bildungsförderlichen Neuorientierung zu verleiten.

Wenn ein strenger, mechanisch-verspielter Proportionskontrast von Beate Kupka neben eine hölzerne abstrakte Vogelplastik von Juan Orta oder neben ein abstrakt-surrealistisches Formengewinde eines Udo Semmler gestellt wird, sekundiert von einer Assemblage aus Computer- und Elektronikbauteilen, einer zufallskompositionellen Farbregie eines Herbert Wegelin, einem miniaturhaften Farbensturz einer Marie Vrbská, einem steinwolkenhaften Diptychon eines Manfred Pieck oder einer sinnlichen Proportionslandschaft einer Grete Späck, dann passiert etwas im Betrachter, vor allem wenn das von Dinda Lestari kuratierte Farb- und Stellungskonzept eine wohlklingende Gesamtschau suggeriert. Der Betrachter wird geradezu genötigt, Vielfalt in der Einheit zu akzeptieren, sich immer wieder neu zu positionieren, Vorlieben abzuwägen, vielleicht sogar Denkmuster aufzugeben.

Wenn neben einem an James Ensor erinnernden aquarellierten Maskenball eines Christoph Grischa, in sich authentisch traditionell gemalt, collagierte KI Outputs einer Anja Roth gestellt werden, oder wenn magische Phantasielandschaften einer Pia Pientka mit dem sensiblen Spiralwesen von Rosa Ruiz korrespondieren, dann werden auch in diesem Raum die Verstandesgrenzen des Betrachters erweitert, um im harmonischen Gesamtkonzept die jeweils heterogenen Töne des vollkommen Anderen individuell herauszuselegieren.

Oder wenn die kontrollierten Farbexplosionen eines Hans Martin Heinemeyer mit den strengen fotografischen Ablichtungen von Straßenbelägen eines Norbert Fischbach aufeinanderprallen sollen, dann geschieht dies gemäß Lestaris Regie mit dem Effekt, dass Objektives und Subjektives zur Selbstbehauptung gezwungen werden.

Wenn ihrerseits realistisch gemalte Bilder von Kindern und Jugendlichen wie Melina Deligiorgakou, Kiani Scheinhütte, Emma Nemec und Ellen Wohler auf gekonnte Farbdukten oder Abstraktionen von Bäumen von Hendrik von Werder bzw. Atefeh Kazemi treffen, dann wird der Betrachter vollends verwirrt sein, weil technisches Können und Abstraktionsfähigkeit offensichtlich keine altersbedingten Ausschlusskriterien darstellen. Außerdem lernen wir, dass man zu jedem Alter bei uns, speziell im Realismusseminar von Delaram Homayouni, einsteigen kann, um Fähigkeiten auszubilden, die man schwer auf eigene Faust adaptieren dürfte.

Selbst innerhalb einer Künstlergruppe, speziell in unserem Aktzeichnenkurs unter Leitung von Eduardo S. Mayorga, differenzieren sich unter gleichen Arbeitsbedingungen ganz individuelle Handschriften heraus, gut abzulesen an den Arbeiten von Dinda Lestari, Thomas Rischmann, Claudia Franke und Nadine Arnela-Cazautets. Da wirken die Vögel im Kopf von Juan Orta und die verteilungskompositorische Aufsicht auf Rügen von Petra Kaars-Wiele wie wahre Exoten. Auch hier also die Notwendigkeit für den Betrachter, seine ganz eigenen Präferenzen zu sortieren, Offenheit und Toleranz für das Andere aufzubringen.

In diesem Sinne freue ich mich, wenn Sie durch die Ausstellung schlendern, die Bilder für sich selbst sprechen lassen oder sich dem nun folgenden kleinen Rundgang anschließen, um den Künstlern die Möglichkeit zu geben, Ihr Oeuvre vorzustellen, das Sie im Anschluss gerne kommentieren können. Viel Freude also bei neuen Begegnungen und interessanten Streitgesprächen. Außerdem nehmen wir gerne Ihre Bewerbungen für das im März geplante zweite Ausstellungsprojekt Who's next Vol. 2 entgegen.

Vielen Dank!

Dr. Michael Becker / Schulleitung wfk


 

 

 

 

Wolfgang Becker